Rede von Außenminister Steinmeier anlässlich der Botschafterkonferenz des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten in Bern
17. August 2015 von Jens Kramer
Rede von Außenminister Steinmeier anlässlich der Botschafterkonferenz des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten in Bern
Lieber Didier Burkhalter,
Exzellenzen,
meine Damen und Herren,
vielen Dank für die Einladung nach Bern.
Sie, verehrte Botschafterinnen und Botschafter, erfüllen derzeit eine Aufgabe, um die Sie wahrscheinlich so manch internationaler Kollege beneidet: Sie vertreten die Schweiz in der Welt; und damit zugleich das „glücklichste Volk“ dieser Erde! Das zeigt zumindest eine aktuelle Studie. Und jeder, der etwas Zeit in den Schweizer Alpen oder am Genfer See verbracht hat – oder wie ich gerade das pittoreske Neuenburg genießen durfte – , der versteht, warum das so ist! Wir Deutsche kommen in dieser „Glückseligkeits-Studie“ übrigens nur auf einen bescheidenen 26. Platz. Vielleicht liegt es daran, dass nur ein kleiner Teil der Deutschen das Glück hat, den direkten Blick auf die Alpen zu genießen!
Trotzdem: In vielem ähneln wir uns. Manche beschreiben Deutschland als „große Schweiz“. Ich fürchte, das ist nicht immer freundlich gemeint. Denn oft schwingt der Vorwurf mit, Deutsche und Schweizer machten sich angesichts der großen internationalen Gestaltungsaufgaben unserer Zeit einen schlanken Fuß.
Du, lieber Didier, hast dieses Bild in Deiner Rede auf der Berliner Botschafterkonferenz vor einem Jahr differenzierter gezeichnet – nämlich so: Schweizer wie Deutsche nehmen sehr wohl außenpolitische Verantwortung wahr, aber beide verengen wir dabei nicht den Blick auf militärisches Engagement. Außenpolitische Verantwortung hat viele Facetten und sie braucht den Instrumentenkasten der Diplomatie in seiner ganzen Bandbreite.
Noch ein weiterer Gedanke ist für mich wichtig, wenn wir über das Bild von Deutschland als einer „großen Schweiz“ sprechen: Wenn wir uns mit Partnern wie China, Indien oder Nigeria messen, dann erscheint Deutschland plötzlich gar nicht mehr so unerhört viel größer als die Schweiz. Und weil das so ist, haben gerade wir als weltweit eng vernetztes Land ein starkes Interesse daran, unsere Vorstellungen beim Bau der internationalen Ordnung von morgen einzubringen. Da sind wir uns in Bern und Berlin vielleicht in ganz anderer Weise ähnlich, als es der Spruch von der „großen Schweiz“ insinuiert. Indem wir außenpolitische Verantwortung übernehmen, investieren wir in unsere Zukunft.
Die Schweiz hat aufgrund ihrer speziellen Stellung besondere außenpolitische Verantwortung, so hast Du es damals in Berlin betont, lieber Didier. Weil sie spezifische Beiträge an Konfliktlösungen leisten kann. Weil sie Brücken schlagen kann, zwischen Konfliktparteien, weil sie auf Dialog und Gespräche setzt.
Verantwortung und Dialogbereitschaft: Um diese beiden Aspekte, die in der Schweizer und Deutschen Außenpolitik eine entscheidende Rolle spielen, geht es in den drei Feldern, die ich heute mit Ihnen vertiefen möchte:
- Den Konflikt in der Ukraine,
- das Abkommen mit dem Iran
- und schließlich unsere Verantwortung in und für Europa.
Verehrte Damen und Herren,
besondere Verantwortung hat die Schweiz in den letzten Monaten in der ohne Zweifel schwersten sicherheitspolitischen Krise in Europa seit Ende des Kalten Krieges geschultert: in der Ukraine-Krise.
Es war die Schweiz, die im Krisenjahr 2014 eine Schlüsselrolle übernahm, und die OSZE ins Zentrum der internationalen Bemühungen stellte. Dir, lieber Didier, und Deinem ganzen Team gilt dafür mein ausdrücklicher Dank!
Die OSZE hat – unter dem Vorsitz der Schweiz – im letzten Jahr eine essenzielle Plattform für den Dialog zwischen allen Akteuren im Ukraine-Konflikt geschaffen – die Trilaterale Kontaktgruppe. Ich möchte mir nicht vorstellen, wo wir heute ohne diese stünden, ohne den direkten Dialog, ohne die OSZE, ohne die Special Monitoring Mission.
Mit dem Maßnahmenpaket von Minsk haben wir dann eine „Road Map“ vereinbart – dies gelang nicht zuletzt dank des unermüdlichen Engagements der Sonderbeauftragten des OSZE-Vorsitzes für die Ukraine, Botschafterin Heidi Tagliavini.
Minsk zeichnet den politischen Weg aus dem Konflikt. Dieser Prozess, das wissen Sie alle, ist nicht perfekt. Aber er ist der einzige Weg, den wir haben! Und wenn wir in den letzten Monaten eines in der Diplomatie gelernt haben, dann, dass wir uns darauf einstellen müssen, oft nur in kleinen, pragmatischen Schritten voranzukommen. Dass wir einen langen Atem brauchen, um Fortschritte zu erzielen. Beharrlichkeit und Geduld.
Dieser Weg ist mühsam. Und er ist gewiss nicht immer populär. Nur zu selten sind Erfolge öffentlich sichtbar. Aber: es gibt sie eben doch – die Momente, die uns auf diesem Weg bestätigen, die Hoffnungsschimmer!
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Und das bringt mich zu meinem zweiten Thema: dem Übereinkommen mit dem Iran. Denn diese Einigung zeigt, was wir in der Diplomatie mit Beharrlichkeit und Geduld erreichen können!
Man muss kein Pathos bemühen, um die Vereinbarung historisch zu nennen. Es ist gelungen, eine politische Lösung für einen Konflikt zu finden, der die Welt bereits mehrfach an den Rand einer militärischen Auseinandersetzung gebracht hatte.
Die Vereinbarung bringt nun vor allem eins: ein Mehr an Sicherheit für die Region. Sie schließt einen Griff Teherans nach der Atombombe langfristig und nachprüfbar aus.
Aber nicht nur das. Die Einigung hat auch bewiesen, dass selbst in tief sitzenden, komplexen Konflikten, die von Misstrauen und Feindschaft überlagert werden, eine Lösung möglich ist. Damit öffnet das Wiener Abkommen auch einen neuen Blick auf unsere Handlungsspielräume innerhalb der Region.
Zwei Entwicklungen sind dabei entscheidend.
Zum einen wurden durch das Iran-Abkommen Gesprächskanäle geöffnet, die vorher so nicht bestanden. Die Sprachlosigkeit zwischen Iran und den USA wurde überwunden; die regionalen Akteure suchen direkte Gespräche – z.B. Saudi-Arabien mit Iran und Syrien. Aber auch die großen internationalen Spieler, die ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrats, sind zusammen gerückt und haben gemeinsame Interessen vertreten. Ich muss Ihnen, liebe Botschafterinnen und Botschafter, die Sie täglich in Verhandlungsrunden und bilateralen Gesprächen sitzen, die Bedeutung dieser ungewohnten Einigkeit nicht erklären.
Zum anderen eröffnet das Wiener Abkommen dem Iran selbst die Gelegenheit, jetzt, nach jahrzehntelanger Isolation, auf die Staatengemeinschaft zuzugehen, aber auch, sich innenpolitisch weiter zu entwickeln.
Wir machen uns keine Illusionen über Iran, seine Rolle in Syrien, bei der Unterstützung der Hisbollah im Libanon oder konfessioneller Milizen im Irak – und wir nehmen die Ängste der Golfstaaten hierzu sehr ernst. Diese Probleme sind durch ein Atom-Abkommen nicht über Nacht zu lösen. Aber es kann vielleicht der Diplomatie Wege öffnen, die bisher nicht gangbar waren. Vielleicht können wir jetzt das Momentum von Wien nutzen, um anderswo in der Region bisher unlösbar scheinende Konflikte zu entschärfen.
Ich denke dabei u.a. an folgende Dossiers:
- An Syrien, wo die militärische Lage des Assad-Regimes immer unhaltbarer wird und wo der ISIS-Terror die Sicherheit von Staaten weit über Syrien hinaus bedroht.
- An den Konflikt im Jemen, wo unter Vermittlung des UN-Sondergesandten Ould Sheikh Ahmad ein neuer Anlauf für Friedensgespräche gesucht wird.
- An den Libanon, wo die Präsidentenwahl seit über einem Jahr blockiert ist.
Ich denke aber auch an die Chance, eine umfassende Sicherheitsarchitektur für den gesamten Mittleren Osten zu entwickeln, die nach der Einigung in einem neuen Licht erscheint.
Wollen wir bei all dem vorankommen – und das ist die wohl wichtigste Lehre aus dem Iran-Abkommen –, werden wir Geduld und Beharrlichkeit brauchen. Denn nur so können wir das Vertrauen herstellen, das die Konfliktparteien letztlich zueinander bringt.
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Und damit komme ich zu meinem dritten Thema: Verantwortung in und für Europa. Die europäische Einigung, von der Churchill 1946 in seiner Zürcher Rede geträumt hat, bleibt nach zwei Weltkriegen und der deutschen Teilung die einzige überzeugende Antwort auf die „deutsche Frage“ nach der Einbindung der Macht in der Mitte Europas. Sie ist der einzig realistische außenpolitische Rahmen, in dem wir die Ordnung unserer global vernetzten Welt mitgestalten können. Für mich ist ganz klar: Weder in Minsk noch in Wien hätte deutsche Diplomatie ohne den europäischen Bezugsrahmen die gleiche Wirkung entfaltet.
Umso wichtiger ist es, dass wir uns – gerade im Zusammenhang der Griechenland-Debatte – selbstkritisch mit unserer Rolle in und für Europa auseinandersetzen. Was meinen wir, wenn wir von deutscher Verantwortung in Europa sprechen?
Ich meine: Deutsche Stärke in Europa darf sich niemals nur daran bemessen, wie wirkungsvoll wir nationale Interessen durchsetzen. Gerade wir als Land in der Mitte Europas müssen unsere Stärke daran messen, wie wir kluge europäische Kompromisse schmieden – mit Frankreich, mit Polen und den anderen europäischen Partnern. In Brüssel und in den Hauptstädten.
Verantwortung, die ich meine, bedeutet nicht, dass sich die Interessen des gerade Stärkeren durchsetzen. Sondern sie bedeutet beharrliche Arbeit am fairen Ausgleich von Interessen unter gleichwertigen Partnern – an der schrittweisen Herstellung eines gemeinsamen europäischen Horizonts. Verantwortung also nicht nur für das eigene Land, sondern auch für das gemeinsame europäische Projekt.
Nicht aus naivem Hurra-Europäertum; auch nicht aus Selbstüberschätzung; sondern aus der nüchternen Einsicht heraus, dass eben gerade wir Deutsche ein übergeordnetes – politisches – Interesse an der europäischen Einigung haben.
Die Schweiz mag nicht im Euro sein, sie mag nicht Mitglied der Europäischen Union sein. Aber angesichts unserer einzigartigen Verflechtungen glaube ich doch, dass gerade die Schweizer ein sehr ausgeprägtes Sensorium dafür haben, wie unverzichtbar eine stabile politische Ordnung Europas ist.
Sie haben miterlebt: Wenn der Euro in schweres Fahrwasser gerät, bleibt das nicht folgenlos für den Franken. Wenn die Freizügigkeit im Schengen-Raum in Frage gestellt wird, dann bleibt auch das nicht folgenlos für die Schweiz. Und positiv gewendet: Wenn wir als Europäer zusammenarbeiten – wie in der Ukraine, wie mit Iran, dann zeigt sich einmal mehr: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.
Klar ist deshalb: Nicht weniger, sondern mehr Zusammenarbeit werden wir in Zukunft in Europa brauchen!
Es ist Ihre Aufgabe, daraus die Schlussfolgerungen für die künftige Schweizer Außenpolitik zu ziehen.
Ich freue mich auf die Diskussion mit Ihnen.
Vielen Dank.
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